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Titel
Freiheit oder Tod!. Die deutsche Studentenbewegung zur Zeit der Französischen Revolution


Autor(en)
Kuhn, Axel; Schweigard, Jörg
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
481 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Döring, Stellvertretender Vorsitzender der Historischen Kommission, Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig

Die innerhalb Deutschlands zu beobachtenden Reaktionen auf die Französische Revolution von 1789 bilden ein relativ gut bearbeitetes Thema der Forschung; allein die um 1989 anlässlich der 200. Säkularfeier erschienenen Titel bilden eine kleine Bibliothek. Merkwürdig unterrepräsentiert ist in der Literatur allerdings die Rezeption jener Geschehnisse an den zahlreichen Hochschulen des Reiches. Das gilt sowohl für die Professorenschaft als auch für die Studenten. Die Gründe dafür dürften in der schwierigen Quellenlage zu finden sein, noch mehr aber vielleicht in der allgemein verbreiteten Einschätzung, die Universitäten des Alten Reiches hätten damals eine eher marginale Rolle im geistigen Leben gespielt. Diese Auffassung teilen zwar auch die Autoren des vorliegenden Buches („Epoche des Niedergangs“, S. 20), dennoch dokumentieren sie erstmals in umfassender Weise die studentische Wahrnehmung der Vorgänge jenseits des Rheins. Die Generalthese lautet, es sei nicht erst im Gefolge der Befreiungskriege gegen Napoleon zur Politisierung der Studenten gekommen, sondern bereits lange zuvor, eben in der Reaktion auf die Revolution von 1789. Diese Aussage verfolgt zugleich eine weit über die Studentengeschichte im engeren Sinne hinausgehende Intention – nämlich die These, auch in Deutschland lägen die Wurzeln der Demokratie in der Revolution. Es ist zu fragen, inwieweit der vorgelegte Quellenbefund diese These decken kann.

Die Untersuchung berücksichtigt allein Universitäten auf dem Territorium der heutigen Bundesrepublik - und zwar mit der eigenartigen Begründung, es gelte die „demokratischen Traditionen des heutigen Deutschlands zu erhellen“ (S. 18). Eine weitere Einschränkung ist das Fehlen katholischer Universitäten, abgesehen von Mainz. Für den Kenner der Materie ist es nicht überraschend, dass die Hochschulen in Jena und Tübingen einen breiten Raum innerhalb der Darstellung einnehmen. Berücksichtigt werden aber auch fast alle anderen protestantischen Hochschulen des Reiches. Die in 18 Kapitel gegliederte Darstellung schreitet nach drei Abschnitten zu übergreifenden Fragestellungen (Studentenalltag, Mentalitäten, geistige Situation an den Hochschulen) im Wesentlichen chronologisch voran. Dabei stehen im Mittelpunkt der einzelnen Kapitel immer diejenige Universität (mitunter auch mehrere Universitäten), die im jeweiligen Zeitraum eine besondere Rolle spielte. Mit dem Jahr 1795 enden die Ausführungen, obwohl es nach den Verfassern in den Jahren 1797/98 nochmals zu einem Aufschwung der Studentenbewegung gekommen sei.

Das materielle „Gerüst der Untersuchung“ (S. 9) bildete die Auswertung von studentischen Stammbüchern. Sicher gewährt diese lange vernachlässigte Quellengattung einen aussagekräftigen Zugang zu den Mentalitäten der Studenten jener Zeit. Leider verzichten die Autoren aber auf jede grundsätzliche Überlegung dazu, mit welcher Verlässlichkeit diese Quellen politische Meinungen widerspiegeln. Es gilt vielmehr die simple Feststellung: die Studenten machen hier „aus ihrem Herzen keine Mördergrube“ (S. 7). Insgesamt 460 Stammbücher aus den Jahren 1785 bis 1800, die (vermeintlich) relevante Einträge enthalten, sollen die die revolutionäre Gesinnung an den einzelnen Hochschulen belegen. Dass man sich damit auf ein unsicheres Terrain begibt, gestehen die Verfasser nicht selten selbst ein (z.B. zu Jena: Befund „wenig befriedigend“, S. 183). Woran erkennt man einen freiheitlichen oder revolutionären Eintrag? Ist die Passage aus Schillers „Räubern“ „Ein freies Leben führen wir...“, die sich in unzähligen Einträgen findet, Ausdruck revolutionärer Gesinnung, oder geht es hier nicht allein um die Betonung studentischer Freiheiten? Ist ein Knigge-Zitat, wonach man einen Menschen allein nach dem beurteilen soll, was er tut, aber nicht nachdem, was er sagt, ein „politisch deutbarer Eintrag“ (S. 187)? Die Verfasser waren in einem solchen Grade auf die Stammbücher fixiert, dass es nicht einmal einen Überblick über die sonstigen herangezogenen Quellen oder die benutzte Literatur gibt.

Man gewinnt bei der Lektüre immer wieder den Eindruck, dass bei den Autoren am Beginn ihrer Arbeit an der vorliegenden Studie bereits die zentrale Grundthese feststand. Wenn gelegentlich konstatiert wird, frühere Darstellungen zum Thema litten oft unter einer „allgemeinen politischen Voreingenommenheit“ (S. 9), so muss diese Kritik auch an die Autoren des hier rezensierten Werkes gerichtet werden: Schon auf Seite 2 artikulieren sie den Wunsch („Wie wäre es aber, wenn...“), am Beginn der Politisierung der Studenten deren „Bekenntnis zu den völkerverbindenden Werten von Freiheit und Gleichheit“ nachweisen zu können, da dies unsere „größere Sympathie“ finden würde, ja wir (die Leser) selbst würden in einer solchen Begegnung „wieder jung werden“ (S. 1). Ein Beispiel der aus solchen Vorgaben resultierenden Argumentationsführung bietet die Auswertung des Stammbuches eines Jenaer Studenten. Dort sind zehn Einträge in später mit dem Zusatz „der Jakobinerklub“ versehen worden. Obwohl dies alles ist, was sich über die Existenz dieses Klubs nachweisen lässt 1, dient der kaum fassbare Jenaer Jakobinerklub als Hauptbeleg für die zentrale These, an den Universitäten habe es „regelrechte politische Klubs“ gegeben (S. 433). Auf solch dünnem Eis bewegen sich nicht wenige Argumentationsketten. So wird ausgerechnet das sonst als konservativ geltende Leipzig als der Ort ausgemacht, in dem Studenten erstmals eindeutig revolutionäre Forderungen aufgestellt hätten. Als Beleg dient ein Flugblatt, das gegen den so genannten Torgroschen protestiert, den alle Besucher der Stadt zahlen mussten. Es ist sicher nicht einfach, solche Texte zu analysieren. Was z.B. sind traditionelle Argumente, was lässt dagegen eindeutig den Einfluss der Revolution erkennen? Die gleiche Frage werfen die Schriften auf, die 1790 im Zusammenhang mit den schweren ländlichen Unruhen in Sachsen entstanden. Die Forschung diskutiert bis heute kontrovers, ob und wie weit hier die Wellen der Pariser Ereignisse zu spüren sind. Vor diesem Hintergrund ist es schon erstaunlich, wie unbefangen die Autoren aus dem Flugblatt bestimmte Begriffe herauslösen („natürliche Freiheit“, gegen „jede Unterjochung“, „deutsches Blut“), sie als revolutionär deuten und so dem Blatt einen hohen Wert als Revolutionsschrift zumessen („weitgehend als ein Sturm auf die Bastille verstanden“, S. 101). Die Politisierung der Tübinger Studenten im Jahre 1792, heißt es an anderer Stelle (S. 143), lasse sich nur „auf wenige Quellen stützen“: Einträge in vier Stammbüchern und einige (vieldeutige) Hölderlin-Zitate. Umso erstaunter ist der Leser, wenn zwei Seiten später aus den „wenigen Quellen“ bereits „eindrucksvolle Quellen“ geworden sind, die die These der Politisierung nun klar belegen.

Als überzeugendes Ergebnis ist zu registrieren, dass die Beschäftigung mit den revolutionären Vorgängen in Frankreich unter den Studierenden intensiver war, als die frühere Forschung annahm. Die Studentengeschichte gewinnt so Dimensionen, die über die in der Literatur sonst übliche Sittengeschichte weit hinausreichen. Zuzustimmen ist auch der Einordnung dieser Beobachtung in die These von der beginnenden Politisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland schon im ausgehenden 18. Jahrhundert. Diese These ist nicht neu, wird hier aber nochmals untermauert. Ob aber die zentrale Aussage des Werkes gesichert ist, die jugendliche Bildungsschicht im Reich sei Träger eines revolutionären Drängens gewesen, das auf eine Demokratisierung zielte, muss in Frage gestellt werden. Diese Bedenken stützen sich auf den sehr unbefangenen, ja unkritischen Umgang mit den Quellen, wie er immer wieder zu beobachten ist. Viele Beweisführungen, die den Anspruch auf weitgehende oder völlige Überzeugungskraft erheben, besitzen doch nur spekulativen Charakter. Generell wird in der Auswertung des Quellenmaterials zu wenig zwischen der Forderung politischer Freiheiten und der Verteidigung akademischer Freiheiten unterschieden. Kein Historiker vermag die Gegenwart und seine eigene Person auszuklammern, aber eine unter solch eindeutig formulierten Prämissen antretende Untersuchung („Sollten gerade die Studenten in Deutschland geschwiegen haben?“, S. 1), wie sie uns hier vorgelegt wird, unterliegt der Gefahr, im Übereifer die gewünschten Ergebnisse auf Biegen und Brechen zu liefern. Dieser Gefahr ist das Buch nicht immer entgangen; der Leser sollte es daher mit einiger Vorsicht nutzen.

Anmerkung:
1 Dabei existieren mindestens zu zweien seiner angeblich wichtigsten Mitglieder weitere relevante Quellen zu ihrer Studienzeit (Briefe, Tagebücher).

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